RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#1 von abena , 07.04.2012 02:06

Folgenden Text habe ich an die Piraten-Partei in Hessen gesandt. Was haltet ihr davon?

Gedanken zum "Tanzverbot" an stillen Feiertagen wie zu Karfreitag

Ist es heutzutage so abwegig, eine für alle festgelegte Zeit zu haben, um inne zu halten? Um einmal nicht das eigene Selbst, das eigene Wohlbefinden an die erste Stelle zu setzen sondern ganz im Gegenteil am Beispiel eines vor Jahrhunderten ja Jahrtausenden gefolterten Menschen all derer zu gedenken, die in unserer Zeit Opfer von Folter und Ungerechtigkeit werden?

Einmal derer zu gedenken, die durch dich und mich, durch aktive Unterstützung oder passive Unterlassung zu Opfern wurden?

Opfer online, die durch üble Nachrede, durch Verbreitung von Halbwahrheiten und Lügen bis hin zu bewusst gefälschten Bildern im Netz der unbegrenzten Möglichkeiten dem Cyber Mobbing anheim fallen. Meist Minderjährige oder junge Erwachsene. Tagtäglich. Im freien Wwwirnawa der Bits und Bytes?

Dazu gehören auch die Opfer der vorschnellen Verurteilung wie kürzlich im Falle des 17jährigen in Emden?

Oder der Opfer von Spott und Verachtung durch die Folterknechte in all den weltweiten Folterkammern der diktatorischen und demokratischen Staaten dieser Erde?

Wieso darf es nicht einige stille Tage geben, um ihnen zu gedenken? Tage an denen wir uns einmal bewusst mit all diesen Ungerechtigkeiten konfrontieren, das Leid der Opfer bei uns selbst ankommen lassen.

Warum soll es dieses gemeinsame Innehalten in einer durch ihre Schnell-Lebigkeit immer unmenschlicher werdenden Zeit nicht gleichberechtigt neben unseren individuellen Freiheiten geben dürfen?

Ich frage Sie, warum ist es für Sie so wichtig immer und überall feiern und tanzen zu dürfen? Ist es nicht genauso wichtig eine für alle gemeinsam geltende Zeit fürs Innehalten, fürs Nachdenken zu haben? Oder ängstigt Sie das was Sie bei diesem Innehalten erblicken könnten so sehr, dass Sie es verbieten möchten?

Haben Sie Angst vor sich selbst? Vor der inneren Leere in Ihrem Leben?

Mich hat die Erfahrung eines gelehrt: diese innere Leere wird sich niemals durch Tanz und Feiern füllen lassen, noch durch das Verdrängen dessen was uns nicht behagt. Nur die Erfüllung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Ruhe, nach Innehalten, danach, in sich zu horchen, Erfahrungen ankommen zu lassen, kann dies bewirken.

Doch dazu braucht es Ruhe - und Zeit für Ruhe. Zeit, die ich mir nicht erst erkämpfen muss, für die ich mich nicht vor anderen zu rechtfertigen brauche, sondern die mir durch diese stillen Tage geschenkt wird.

Egal woher diese stillen Tage ursprünglich kamen, ich sollte sie nicht als Bevormundung durch eine Religion oder Beschneidung meiner persönlichen Freiheiten betrachten, sondern als Chance menschlich sein und bleiben zu dürfen. In einer Gemeinschaft für die Ruhe, Innehalten, in sich horchen so wichtig ist, einen solchen sozialen Wert darstellt, dass diese Gesellschaft dafür extra einige Tage des Jahres reserviert.

Vielleicht stimmen Sie mir zu, beharren aber darauf, dass Sie selbst den Zeitpunkt für Ruhe und Besinnung bestimmen möchten. Ohne Zwang. Das kann ich nachvollziehen, frage Sie aber: legen Sie denn auch die Zeiten Ihrer alltäglichen Hektik in dieser schnell-lebigen Zeit ganz alleine selbst fest? Oder wird Ihnen diese nicht viel mehr aufgezwungen? Wünschten Sie sich nicht manchmal, Nein sagen zu können? Ohne negative Folgen befürchten zu müssen?

Die stillen Tage helfen bei diesem konfliktfreien Nein-sagen. Nutzen Sie diese Chance.

Zudem ist es einfacher zu innerer Ruhe zu finden, wenn ich mich als Teil einer großen Gemeinschaft erlebe, die am selben Tag inne hält.

Abgesehen davon steht es jeder Person frei inne zu halten wann und wo sie es möchte. Warum also besteht ein solcher Widerwille gegen einige gemeinsame Tage der Ruhe?

Ich muss diese Zeit nicht kirchlich-religiös auslegen, sondern kann ganz frei all derer gedenken, denen Unrecht getan wurde und wird. In allen Zeiten.

Was ist daran so freiheitsraubend, wenn eine Gesellschaft für sich entscheidet, dass sie dafür einige der 365 Tage des Jahres zu allgemeingültigen stillen Tagen erklärt?

Was ist für Sie daran so abwegig, ihre eigenen Bedürfnisse an diesen Tagen dem menschlichen Grundbedürfnis nach Ruhe, Verstehen und Sinn unterzuordnen?

Was?

Die Religion etwa, die "schuld" ist an den stillen Tagen?

Wer oder was hindert Sie daran, diese religiösen Tage umzudeuten in Gedenktage für alle Opfer der Welt? Haben Sie wirklich keine Zeit gemeinschaftlich derer zu gedenken, die sich verraten und vergessen wähnen?

In einer Welt, die sich immer schneller und schneller dreht und die Menschen atem- ja ruhelos werden lässt;

in einer Welt, in der die Menschen weltweit immer mehr dem Diktat der globalen Wettbewerbsfähigkeit unterworfen werden und gegeneinander konkurrieren;

in einer Welt in der Menschen, die dem nicht gewachsen sind, nur allzu leicht zu Opfern und Verlierern werden;

Gerade in einer solchen Welt ist es unabdingbar dass es Ruhe-Zeiten gibt. Zeiten, die für ALLE gelten; Zeiten, die der Langsamkeit gemahnen; Zeiten, die dem Innehalten dienen; Zeiten, die dem Nachdenken und Nachfühlen gewidmet sind.

Wir können uns alle glücklich preisen, durch die Religion solche Zeiten bereits zu besitzen und sie uns nicht erst gegen die immer stärker und beherrschender werdenden wirtschaftlichen Interessen schwer erkämpfen zu müssen. So wie es bei vielen anderen Grund- und Menschenrechten der Fall war.

Lassen Sie uns diese Zeiten gemeinsam nutzen und nicht als Unfreiheit verdammen, sondern als Chance und Aufbruch zur Einkehr, zum Nachdenken über Werte nutzen. Werte, die uns als soziale Gesellschaft identifizieren.

Lassen Sie uns diese Zeiten nutzen, um zu bestimmen welchen Weg wir gehen, welche Zukunft wir unseren Nachkommen bereiten wollen. Eine Zukunft der individuellen Beliebigkeit, oder eine der sozialen Gemeinschaft und Verantwortung?

Ich möchte in einer Welt individueller Freiheit leben, wie sie im Grundgesetz und den Menschenrechten verankert ist, aber eingebettet und getragen in einer sozialen Gesellschaft, die sich ihrer Verantwortung allen, gerade auch den Opfern gegenüber, bewusst ist. In einer Gesellschaft in der Menschen Ruhe finden können in einer Atmosphäre gegenseitigen Respekts und im Gefühl mit dem Wunsch nach Besinnung nicht alleine zu stehen.

In diesem Sinne plädiere ich uneingeschränkt für die Beibehaltung der stillen Tage!

 
abena
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RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#2 von abena , 07.04.2012 18:49

Hier die Antwort der Piraten-Partei Hessen auf meine Gedanken und meine Reaktion darauf.
Tanzverbot an stillen Feiertagen
Sehr geehrte ...,
danke für Ihre Anmerkungen. Wir haben uns vor dem Protest viele Gedanken über die Angelegenheit gemacht und sind letztendlich doch zu dem Schluss gekommen, dass wir daran etwas ändern wollen.

Da wir uns für Pluralismus einsetzen sind andere Meinungen selbstredend erwünscht und wir setzen uns auch dafür ein, dass Sie diese zum Ausdruck bringen dürfen und können. Das gleiche trifft aber auch auf uns mit dem Tanzverbot zu.

Die Politik die wir machen ist nicht dafür dar um populistisch zu sein und wir wollen nicht auf Stimmenfang gehen. Aus diesem Grund ist es natürlich bedauerlich, wenn du uns deine Stimme nicht mehr geben willst aber dies ist etwas womit wir leben müssen.
Beste Grüße


Meine Antwort darauf:
Sehr geehrteR...,
Ihre Antwort zu lesen macht mich traurig, da sie in mir den Eindruck erweckt, meine zugegebenermaßen langen Ausführungen seien nicht gelesen worden. Ich hätte mich über eine argumentative Rückmeldung gefreut. Über die in meinen Augen vorformulierte Standardantwort die mit keinem Wort auf die von mir aufgeworfenen Fragen eingeht kann ich mich hingegen nicht freuen. Sie ist einfach nur enttäuschend.

Ganz besonders irritiert mich Ihre Anmerkung darüber, dass Sie es bedauerlich finden, dass ich Ihnen meine Stimme nicht mehr geben möchte. DAZU habe ich mich in keinster Weise in meinem Text geäußert. Wie kommen Sie darauf?

Es ist bedauerlich, dass Sie zwar Pluralismus fördern möchten, aber zu einer inhaltlichen Diskussion und dem wirklich ehrlichen Auseinandersetzen mit den Argumenten anderer nicht bereit scheinen. Ich habe mir vor Schreiben meines Beitrages die Anmerkungen von Mirjam Dargatz gründlich durchgelesen und darüber nachgedacht. Ich liess ihre Argumente auf mich wirken. Diesen Eindruck habe ich umgekehrt nicht.

Zu Pluralismus gehört für mich vor allem diese aufrichtige Auseinandersetzung mit den Argumenten der anderen und nicht nur das Kontern zur Untermauerung der eigenen Positionen. Genau das ist es auch weswegen ich die Zeit und Ruhe fürs Innehalten und Nachdenken so wichtig einschätze. Sie ist die Grundlage für nachhaltige Entscheidungen zum Wohle aller bzw zugunsten von mehrheitlich empfundenen Kompromissen.

In dieser Hinsicht unterscheidet sich Ihre Partei leider nicht von den Etablierten. Das ist ebenfalls schade.

Ich danke Ihnen für Ihre Rückmeldung, auch wenn ich diese als enttäuschend und bedauerlicherweise nichtssagend empfinde.

Mit österlichen Grüßen,
...

 
abena
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RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#3 von abena , 07.04.2012 18:53

...zu dem Kommentar von Mirjam Dargatz. Ich möchte die Argumente der Piraten-Partei Hessen schließlich nicht unterschlagen.

Mal eine rechtliche Frage an die Juristen unter euch: darf ich die Antwort der PP und meine Entgegenung eigentlich in dieses Forum einstellen?

 
abena
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RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#4 von Gelöschtes Mitglied , 09.04.2012 13:12

Gute Idee, Crazy: Karfreitag als stiller Gedenktag für alle Opfer von Gewalt. Die Piraten haben bestimmt nichts dagegen - Hauptsache, keiner schaltet ihnnen an den stillen Tagen den Strom für ihre Computer ab.
Volker


RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#5 von conny , 12.04.2012 11:39

Hallo Abena,

Deine Argumentation ist echt vielschichtig gedacht. Super, dass Du das Problem so anpacktest und eine so offene Einstellung zum allgemeinen Gedenken der Vielzahl von Opfern hast!

Durch die Veröffentlichung der Piraten-Antwort kommt heraus, dass bei denen auch nur mit Wasser gekocht wird, sie wohl keine bessere Alternative sind, ja, nicht mal auf Argumente eingehen, wie es leider VIEL zu oft geschieht.

Vielen Dank für Deinen Beitrag, der war echt lesenswert!

conny  
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RE: Zum Tanzverbot an stillen Feiertagen

#6 von abena , 12.04.2012 19:02

moin Conny,
vielen Dank für deine wertschätzenden Worte. Da freu ich mich drüber.


Zitat von conny

Hallo Abena,
Deine Argumentation ist echt vielschichtig gedacht. Super, dass Du das Problem so anpacktest und eine so offene Einstellung zum allgemeinen Gedenken der Vielzahl von Opfern hast!
Durch die Veröffentlichung der Piraten-Antwort kommt heraus, dass bei denen auch nur mit Wasser gekocht wird, sie wohl keine bessere Alternative sind, ja, nicht mal auf Argumente eingehen, wie es leider VIEL zu oft geschieht.
Vielen Dank für Deinen Beitrag, der war echt lesenswert!

 
abena
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